Design als Haltung
„Sometimes it takes long (until things change)”, manchmal dauert es lange (bis sich die Dinge verändern) – und damit meint die österreichische Künstlerin Helene Thümmel nicht etwa die Zeit, die es in Anspruch nähme, diesen kleinen Spruch auf ein Stück Stoff zu sticken. Stattdessen listet sie in ihrer sechteiligen Textilstickarbeit fast hundert Revolutionen, Protestbewegungen und Aufstände der Weltgeschichte, von 1781 bis heute, alle mit Jahreszahl und Ort, hübsch verziert mit Blumenranken und anderen Ornamenten. Manche der Proteste waren erfolgreich, andere nicht. Manche wurden friedlich beigelegt, andere mit Gewalt niedergeschlagen. Manche sind Geschichte, andere rumoren oder toben noch heute. Und so gut wie alle wirken, auf die eine oder andere Art, bis heute.
Thümmel erinnert uns daran, dass Wandel Geduld erfordert (so wie das Sticken). Sie erinnert uns auch daran, dass wir nicht geschichtsvergessen sein dürfen und in langen Zeithorizonten denken müssen. „Design als Haltung“ blickt deshalb in diesem Semester nicht nur auf die Gegenwart, sondern auch in die Vergangenheit. Design ist immer eine Reaktion auf die politischen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Realitäten seiner Zeit, es entsteht in der Gesellschaft für die Gesellschaft. Es reagiert – im Guten wie im Schlechten – auf aktuelle und historische Gegebenheiten, auf gewachsene und sich wandelnde Verhältnisse. „Design ist niemals stumm“, sagt Victor Papanek, einer der einflussreichsten Designerdenker des 20. Jahrhunderts. Über die materielle Lösung von Alltagsproblemen und reines Nutzenkalkül geht es weit hinaus. Stattdessen ist Design eine Art zu denken, eine Haltung. Und weil Design per Definition „für alle“ oder doch zumindest für viele sein will, wird es zu einem politischen Werkzeug, ungeachtet dessen, ob die handelnden Designer*innen politische Absichten verfolgen oder nicht.
In „Design als Haltung“ widmen wir uns in diesem Semester der Industriellen Revolution ebenso wie der aktuellen Informationskrise, dem Kalten Krieg ebenso wie den Identitätskämpfen unserer Zeit. In jedem Seminarblock setzen wir einen thematischen Schwerpunkt und spannen dazu einen Bogen aus der Geschichte in die Gegenwart. Wir werden Texte lesen, Videos ansehen, Podcasts hören. Dabei geht es nicht um eine vollumfängliche historische und theoretische Ergründung der jeweiligen Themen. Vielmehr werden wir versuchen, eine Haltung zu den besprochenen Fragen zu formulieren, uns diese selbst bewusst zu machen und auch zu hinterfragen. Dabei wollen wir immer auch unsere Ambiguitätstoleranz testen, die Fähigkeit, mit Doppeldeutigkeit und Ungewissheit umzugehen, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen auszuhalten.